Torsten Bultmann
Elite – Begabung – Exzellenz
Zur aktuellen Konjunktur einer anti-egalitaristischen Bildungspolitik
Mittlerweile hat sich die deutsche Öffentlichkeit daran gewöhnt, 
  dass in regelmäßigen Abständen »Eliteuniversitäten« 
  politisch ausgerufen werden, die das deutsche Hochschulsystem als Typus traditionell 
  nicht kennt. De facto handelt es sich dabei um ein Bund-Länder-Programm 
  zur Sonderförderung von Spitzenforschung, dessen amtliche Bezeichnung »Exzellenzinitiative« 
  ist. Als diese im Jahre 2004 politisch einfädelt wurde (Bultmann 2004), 
  galt die ausdrückliche Bezugnahme auf das Konzept »Elite« in 
  der Öffentlichkeit noch als heftig umstritten. Zwischenzeitlich hat sich 
  in den Medien des Mainstreams völlig unwidersprochen der Begriff »Eliteuniversitäten« 
  als selbstverständliche und affirmative Bezeichnung durchgesetzt. Das ist 
  eine politisch beachtliche Diskursverschiebung. Hinter dieser verbirgt sich 
  eine bereits seit längerem wirksame offensive politische Legitimationsstrategie 
  für gesellschaftliche Ungleichheit, mit der auch die Zuteilung ungleicher 
  Bildungschancen gerechtfertigt wird.
  Wer sich damit auseinandersetzen will, kommt ohne das begriffliche Instrumentarium 
  der Kritischen Psychologie kaum aus. Diese bemüht sich – soweit es 
  der Autor dieses Textes als interessierter Laie wahrnimmt – seit ihrer 
  Entstehung darum, die gesellschaftlich produzierten – und ideologisch 
  gerechtfertigten – Schranken für gleiche Entwicklungschancen aller 
  Menschen zu analysieren, zu benennen und damit einen Beitrag zu ihrer politischen 
  Aufhebung zu leisten. Gerade in der Pädagogik und in der Bildungspolitik 
  leistete die Kritische Psychologie einen messbaren Beitrag dazu, Konzepte zu 
  bekämpfen, die Ungleichheit naturalisieren, in dem sie gesellschaftliche 
  Beschränkungen von Bildungschancen auf ungleiche invariante »Eigenschaften« 
  und »Begabungen« von Individuen zurückführen. Letzteres 
  markiert exakt den Punkt, an dem semi-wissenschaftliche Konzepte sich mit dem 
  »gesunden Menschenverstand« und dem »Stammtisch« verbünden 
  und gerade auf diese Weise politisch wirksam sind.
  Ziel dieser kritischen Intervention war nie ein gewünschter Zustand formalerGleichheit. 
  Es ging vielmehr »um die Beseitigung strukturellerUngleichheit bzw. um 
  die Bedingungen dafür, dass individuelle Entfaltungsmöglichkeiten 
  nicht durch jene strukturellen Benachteiligungen behindert werden, die der Elitediskurs 
  naturalisiert.« (Markard 2005, 8). Diese Beseitigung ist eine Voraussetzung 
  für gleichberechtigte Vielfalt (ebd.). Es ist kein Zufall, dass namentlich 
  Morus Markard angesichts der Renaissance des Elitenmotivs in der Wissenschaftspolitik 
  ab dem Jahre 2004 einer der am häufigsten angefragten politisch-wissenschaftlichen 
  Diskutanten auf Kongressen und Veranstaltungen war, welche das politische Ziel 
  einer Dekonstruktion dieses bildungspolitischen Ansatzes verfolgten.
  Der vorliegende Beitrag möchte diese Debatte fortsetzen. Zum einen geht 
  es mir um eine schärfere Identifikation der wiederkehrenden Momente des 
  Elitenmotivs als Begründungsmuster für Herrschaft und soziale Ungleichheit. 
  Zum zweiten möchte ich auch die Momente des Neuenim aktuellen angestrebten 
  Paradigmenwechsel der deutschen Wissenschaftspolitik beleuchten, die, sich m. 
  E. nicht auf jene wiederkehrenden Momente reduzieren lassen. Ich sehe darin 
  auch den Versuch einer Strategie für Herrschaftssicherung in der nach-fordistischen 
  hochtechnologisch basierten Produktionsweise (»Wissensgesellschaft«). 
  Diese Strategie kann gelingen oder scheitern. Zu Letzterem möchte ich gerne 
  einen Beitrag leisten.
Das Elitenkonzept als politische Reaktion
Es ist schon häufig angemerkt worden, dass die Beschwörung von Eliten 
  in einem politisch operativen Sinne in der Geschichte der bürgerlichen 
  Gesellschaft relativ spät auftritt; schließlich wird damit das Gleichheitsversprechen 
  der ursprünglichen bürgerlichen Revolutionen dementiert. In Deutschland 
  findet dies etwa im späten 19. Jahrhundert statt. Der Bezug auf Eliten 
  als vermeintlich naturwüchsig zur Herrschaft erkorene soziale Minorität 
  geht einher mit der aktiven »Entnennung« der Klassenfrage (Markard 
  2005, 6). Dies setzt ein gewisses Niveau in der Entwicklung der Klassenauseinandersetzungen, 
  insbesondere in der Politisierung der Arbeitsklasse voraus. Das Bürgertum 
  kann sich vor diesem Hintergrund nicht mehr mit einem auf die gesamteGesellschaft 
  bezogenen Leistungsbegriff rechtfertigen. Dies fördert Bestrebungen, die 
  die politisch benennbaren Ungleichheits- und Machtverhältnisse zu personalisierentrachten 
  und damit politisch unsichtbar machen: »Herrschaft als gesellschaftliches 
  Strukturmoment verschwindet in unterschiedlichen Eigenschaftenvon Menschen.« 
  (Ebd.) Eine soziale Elite rechtfertigt sich so durch ihre besonderen Fähigkeiten, 
  ihre »Hochbegabung« bzw. ihre naturbedingte »Auserwähltheit«. 
  Dem derartig politisierten Elitenmotiv haftet von vornherein der Widerspruch 
  an, sich einerseits auf quasi-naturhafte Voraussetzungen zu berufen, die es 
  andrerseits politisch und institutionell erst herstellen will. Das setzt aber 
  gerade voraus, dass eine Art Gleichgewicht der Reproduktion von Macht bereits 
  in einem erheblichen Maße politisch gestört ist: etwa durch das Drängen 
  der sozialen Massen nach Gleichheit und Bildung. Paradox formuliert: in jeder 
  Form von Elitenpolitik gilt es, gerade die Momente von sozialer Emanzipationzu 
  identifizieren, welche verhindert werden sollen. Diese Identifikation ist Voraussetzung 
  dafür, dass sich der Spieß auch umdrehen lässt.
  Elitenpolitik ist somit Reaktionauf der ganzen Linie: im politisch wertenden 
  Sinne von »reaktionär« und auch ganz buchstäblich. Sie 
  ereignet sich nicht aus selbstbewusster Machtvollkommenheit, sondern dient der 
  Abwehr politischer Ansprüche »von unten«. Damit ist diese Praxis 
  typischer Ausdruck der für die deutsche bürgerliche Tradition prägenden 
  »defensiven Modernisierung« (Bollenbeck 1994, 156), die sich auch 
  als merkwürdige Balance von Teilzugeständnissen an breitere gesellschaftliche 
  Schichten und speziellen institutionellen Maßnahmen der Privilegiensicherung 
  beschreiben lässt.
  Dieses Muster prägt insbesondere die deutsche Bildungspolitik – streng 
  genommen bis heute. Bereits im späten 19. Jahrhundert erforderte etwa die 
  industriell-technische Entwicklungsdynamik eine Steigerung des gesellschaftlichen 
  Bildungspotenzials. Diese Bildungsexpansion wurde auf besondere Schulzweige 
  des »mittleren« Niveaus (Realbereich) kanalisiert; zeitgleich wurde 
  die Sonderstellung des (damals) altsprachlichen Gymnasiums gefestigt, welches 
  im Wechselspiel mit den Universitäten vor allen Dingen die Ausbildung für 
  den höheren Staatsdienst zu gewährleisten hatte (von Friedeburg 1989, 
  197f).
  Solange dieses Muster relativ stabil blieb, gab es bis in die jüngere Vergangenheit 
  weder spezielle »Eliteuniversitäten« noch politisch inszenierte 
  »Elitendebatten«. Die fünf Prozent eines Altersjahrganges, 
  die etwa in den 1950er Jahren an westdeutschen Universitäten ausgebildet 
  wurden, warendie Elite – ohne jeglichen Legitimationsaufwand. In zyklischen 
  Abständen auftretende, kampagnenpolitisch inszenierte Debatten um »Elitenförderung«, 
  die es in diesem Sinne erst seit den 1970er Jahren gibt, sind daher typisches 
  Begleitmoment von Bildungsexpansion und Hochschulausbau. Gezielt wird damit 
  auf die ideologische Dekonstruktion von bildungspolitischen Leitbegriffen wie 
  »Chancengleichheit«, »Bildung für alle« oder »soziale 
  Öffnung der Hochschulen«, welche in der öffentlichen Meinung 
  mehrheitlich positiv besetzt waren. Alle derartigen Kampagnen transportieren 
  bis heute die Behauptung eines sich ausschließenden Gegensatzes zwischen 
  »Gleichheit« und »Leistung«. Auf einen Nenner gebracht 
  bringen Pro-Eliten-Kampagnen den Widerstand konservativer Kreise gegen die gesellschaftliche 
  Öffnung der Hochschulen und die damit verbundene Politisierung des Hochschulsystems 
  zum Ausdruck (Bultmann 2004, 16).
  In der Regel endeten diese Kampagnen wie das Hornberger Schießen. Dass 
  die synthetische Konstruktion von »Eliteuniversitäten« auf 
  einmal als durchsetzbar erscheint, erforderte andere und zusätzliche Voraussetzungen. 
  Eine Art Vorgeschmack dafür war 1997 die Rede des damaligen Bundeskanzlers 
  Dr. Helmut Kohl anlässlich einer Preisverleihung der Deutschen Forschungsgemeinschaft 
  (DFG): »Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren eine törichte 
  Diskussion um den Elitenbegriff geleistet. Das hat uns geschadet. Wir stehen 
  in weltwirtschaftlicher Konkurrenz mit Ländern, die gezielt eigene Eliten 
  fördern, um sich im globalen Wettbewerb besser behaupten zu können. 
  Wir brauchen in Deutschland mehr denn je ein klares Ja zu Eliten.« Diese 
  Zielstellung konnte den Hochschulen freilich nicht von außen angedient 
  werden. Durchsetzbar war dieses Ja erst in dem Maße wie der »Wettbewerb« 
  zum zentralen Leitmotiv der inneren Hochschulreform wurde.
Von der Überlast zum Effizienzproblem
Mitte der 1970er Jahre wurde bekanntlich die Finanzierung der Hochschulen trotz 
  weiter steigender Studierendenzahlen eingefroren. Die Hochschulausbauphase wurde 
  definitiv für beendet erklärt. Die politische Form der Beendigung 
  war der berühmte »Doppelbeschluss« (auch: »Öffnungsbeschluss«) 
  der Ministerpräsidenten, Kultus- und Finanzminister aus dem Jahre 1977, 
  die Hochschulen für alle Studierenden grundsätzlich weiter offen zu 
  halten, aber ihre Finanzierung auf dem damaligen Niveau einzufrieren. Infolge 
  dieses »Öffnungsbeschlusses« war im Verlauf der 1980er Jahre 
  die »Bewältigung der Überlast« das zentrale hochschulpolitische 
  Thema. Bei diesem Thema wurde immerhin noch versucht, legitimationspolitisch 
  zwei Dinge in eine Balance zu bringen: knappe Staatsfinanzen undweiter ansteigenden 
  Hochschulzugang, an dessen sozialer Berechtigung (ohne zusätzliche Voraussetzung) 
  noch niemand zu rütteln wagte.
  In den 1990er-Jahren tritt die Überlastproblematik zunehmend in den Hintergrund. 
  Die bestimmenden hochschulpolitischen Akteure verlagern ihre Initiativen, teils 
  freiwillig, teils durch staatlichen Druck, von der – zuweilen noch rhetorisch 
  oder rituell vorgetragenen – Forderung nach »mehr Geld« bzw. 
  einer auslastungsgerechten Finanzierung auf den anderen »Weg zur Optimierung 
  der bereitgestellten Ressourcen«, welcher »über die Einführung 
  von Elementen des Wettbewerbs in das Hochschulsystem« führt (HRK 
  1996, 25f). Die aus fehlenden materiellen Ressourcen resultierenden Schwierigkeiten 
  werden so auf ein vermeintlich internes Reformdefizit der Hochschulen verschoben. 
  Das Überlastproblem verwandelt sich in ein »Effizienzproblem«. 
  Dadurch entsteht ein spezifischer Blickwinkel, der das Bemühen um eine 
  »effizientere« Verwendung der knappen staatlichen Mittel mit der 
  Erschließung neuer privater Finanzierungsquellen (industrielle Drittmittel, 
  Studiengebühren) verbindet. Aus der Anforderung heraus, knappe Ressourcen 
  mit einer wachsenden gesellschaftlichen Nachfrage – sei es nach Studienplätzen, 
  sei es nach Forschungsfinanzen – in ein Verhältnis zu bringen, werden 
  Markt und Wettbewerb zunehmend als adäquate Mechanismen zur Steuerung wissenschaftlicher 
  und pädagogischer Abläufe akzeptiert. Dies schließt die Akzeptanz 
  einer ungleichen Konzentration knapper Mittel in der Bandbreite zwischen »Elite« 
  und »Masse« in sich ein, weil dies hochschulpolitischen Akteuren 
  als zielgerechte Verkoppelung von »Auswahlentscheidung« und Finanzinvestition 
  erscheint.
  Die zunehmende Akzeptanz von Wettbewerbsmechanismen produziert so in deren immanenter 
  Logik auch einen selektiven Blickwinkel auf die zu bildenden Subjekte. Der Markt 
  ist per se selektiv. Wenn etwa Bildungskosten bzw. die Finanzierung von Studienplätzen 
  als »Investition« umdefiniert werden, die, wie jede andere Investition, 
  von einer Spekulation auf zu erwartende Leistungen und Erträge geprägt 
  ist, erhöht sich der Druck auf eine präzisere »Kalkulation« 
  dieser Ausgaben. Gleichzeitig wird der Schluss vom Umfang der Investition auf 
  das Niveau der zu erwartenden »Leistung« nahe gelegt und so dem 
  Motiv der Extra- und Sonderförderung von (Eliten-)Höchstleistungen 
  der Boden bereitet.
  Die Folge ist, dass sich der Übergang zu derartigen Formen betriebswirtschaftlicher 
  Kostenkalkulation als Druck auswirkt erstensin Richtung einer stärkeren 
  formalen Leistungskontrolle (Prüfungsverschärfungen, »strengere« 
  Noten) und – noch wichtiger – zweitensin Richtung einer selektiven 
  individuellen Differenzierung dieser Kosten nach Maßstäben möglichst 
  frühzeitiger persönlich zugeschnittener Leistungsfähigkeitsprognosen. 
  Entsprechend verschiebt sich der pädagogische Schwerpunkt: an die Stelle 
  einer (potenziellen) emanzipatorisch orientierten Förderung von Entwicklungschancen 
  und Handlungsmöglichkeiten tritt eine klassifikatorische Diagnostik invarianter 
  »Eigenschaften« und »Anlagen« (Markard 1998, 38). Insbesondere 
  die zunehmende Übertragung des Rechtes aus Studienplatzvergabe an die Hochschulen 
  hat einen Boom an »Eignungsprognostik« erzeugt (kritisch dazu: Bultmann 
  2007, Lux 2007).
  Alles, was heute mit der politischen Absicht von »begabungsgerechter« 
  Bildungssteuerung oder »Elitenförderung« – kurz: dem 
  konservativen Uraltprogramm – auftritt, hüllt sich in den Anschein 
  gänzlicher Ideologiefreiheit und vermeidet tunlichst eine explizite Debatte 
  über menschliche »Ungleichheit«. Man verbirgt sich hinter technisch 
  neutralisierten Leistungsindikatoren, die vor allem dem Standard betriebswirtschaftlicher 
  Zähl- und Messbarkeit entsprechen. Gerade durch die zunehmende Durchsetzung 
  einer betriebswirtschaftlich verkürzten Bildungsökonomie jedoch schleicht 
  sich quasi »von hintenherum« implizit eine naturalisierende Pädagogik 
  wieder ein. Diese bildungsökonomische Wende bildet den entscheidenden Humus 
  für die politische Durchsetzbarkeit des Motivs »Elitenförderung«.
Matthäus-Prinzip und Pygmalion-Effekt: die Exzellenzinitiative
De facto beruht die Exzellenzinitiative auf einem Bund-Länder-Kompromiss 
  zwischen SPD und CDU/CSU. Besagte Bund-Länder-Vereinbarung vom 18.7.2005 
  beinhaltet zusätzliche Forschungsmittel von 1,9 Mrd. Euro verteilt auf 
  die Jahre 2006-11. Bewerbungen können für drei Förderprogramme 
  abgegeben werden. Für das finanziell lukrativste dritte, für welches 
  man sich mit »Zukunftskonzepten« eines auf die gesamte Universität 
  bezogenen Spitzenforschungsprogramms bewerben kann, winkt das Prädikat 
  »Eliteuniversität«. Für eine solche stehen dann durchschnittliche 
  Zusatzmittel von 21 Mio. Euro pro Jahr zur Verfügung, die ausschließlich 
  in besagte Forschung fließen. Eine immer wieder auftauchende Schlüsselsentenz 
  der politischen Vereinbarung ist die Forderung, die deutschen Hochschulen müssten 
  international »sichtbarer« werden (BLK Juli 2005). Dem liegt die 
  stillschweigende Prämisse zugrunde, man könne nicht mit 350 deutschen 
  Hochschulen im internationalen Wettbewerb antreten, sondern höchstens mit 
  einer Hand voll. Bereits einen Monat vorher wurde zwischen Bund und Ländern 
  im so genannten »Pakt für Forschung und Innovation« vereinbart, 
  die künftige öffentliche Forschungsförderung stärker auf 
  »Exzellenz« zu konzentrieren (BLK Juni 2005).
  Damit erweist sich die Exzellenzinitiative im Wesentlichen als eine politische 
  Entscheidung, finanzielle Zuwächse nur noch selektiv auf wenige Hochschulen 
  zu konzentrieren. Die ganze ideologische Diskurspolitik der Folgezeit kreist 
  um das Problem, diese politisch absichtsvolle Weichenstellung für ein Zwei-Klassen-Hochschulsystem 
  als bloßen Ausdruck einer quasi naturwüchsigenGegebenheit erscheinen 
  zu lassen. Dabei wurde mit der alltagstheoretischen Selbstverständlichkeit 
  unterschiedlicher »Leistungsfähigkeit« argumentiert. Kritiker 
  äußerten hingegen die begründete Befürchtung, durch eine 
  derartige hierarchische Differenzierung würde die soziale Selektivität 
  innerhalbdes Hochschulsystems noch einmal verstärkt, zweitens würde 
  durch diese Art von »Elitenförderung« eine seit langem anhaltende 
  Verteilung nach dem biblischen Matthäus-Prinzip noch einmal forciert (Hartmann 
  2004). Das heißt aber nichts anderes, als dass die »Leistungsabstände«, 
  mit denen das offizielle Programm argumentiert, selber zuvor materiell produziert 
  wurden, wodurch diese Argumentation tautologisch wird.
  Um dies zu belegen, muss gar nicht spekuliert werden, es reicht ein Blick in 
  die offizielle Statistik. Die DFG ist bekanntlich die größte deutsche 
  Forschungsförderorganisation, die auf Antrag und mit »fachlicher« 
  Begutachtung öffentliche Mittel an die Hochschulen verteilt. Knapp 60 Prozent 
  aller DFG-Mittel konzentrieren sich aber auf nur 20 Universitäten. DFG-Förderung 
  gilt zugleich als Basisindikator für Forschungsqualität insgesamt. 
  Auf diese Weise wird ein Effekt produziert, den die DFG selbst als »korrelativ« 
  bezeichnet: je mehr DFG-Mittel eine Hochschule erhält, umso größer 
  auch ihr Zuwachs an zusätzlichen Drittmitteln aus anderen, überwiegend 
  privaten Quellen, umso höher ihr Anteil an Stiftungslehrstühlen industrieller 
  Sponsoren etc. (vgl. DFG 2007, 118-123). Dieser sich selbst verstärkende 
  kumulative Effekt finanzieller Zuwächse kann durchaus als Matthäus-Prinzip 
  bezeichnet werden. So nimmt es auch nicht wunder, dass nur jene Top-20-Hochschulen 
  des DFG-Rankings die Exzellenzinitiative unter sich ausfochten.
  Gleichzeitig finden wir hier das vor, was Klaus Holzkamp in Bezug auf das Schulsystem 
  als »bildungspolitisch induzierten Pygmalioneffekt« (Holzkamp 1992, 
  17) kritisiert: ein zuvor produzierter Leistungsabstand zwischen Normal- und 
  Hochleistern wird wiederum als »Begründung für die Auslese und 
  gesonderte Förderung von Hochbegabten« herangezogen. Der Effekt ist 
  der einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung, »durch die man Ressourcen 
  an gesellschaftlich nutzbaren Leistungsmöglichkeiten nicht – wie 
  beabsichtigt – fördert, sondern im Gegenteil durch die Vernachlässigung 
  und Entmutigung der Nichtauserwählten unterdrückt und verschleudert« 
  (ebd.).
»Exzellenz« als technokratische Ideologie des Posordisrnus
In seiner Kritik der Exzellenzinitiative macht der Wiener Philosoph Konrad 
  Paul Liessmann auf einen Aspekt aufmerksam, der in der öffentlichen Debatte 
  bisher weitgehend untergegangen ist: »Das elaborierte Wissen einer Gesellschaft 
  aber programmatisch auf eine auserlesene Schar – nichts anderes meint 
  Elite – zu beschränken, ist schlichtweg vormodern und drängt 
  den Wissenschaftler in die Rolle des Priesters.« (2006, 17) Damit wird 
  in der Tat eine kritiklose Wissenschafts- und Expertengläubigkeit bedient, 
  die in den letzten Jahren gesellschaftlich zugenommen hat. Dies verdeutlicht 
  etwa die Rolle von Expertenkommissionen (Hartz, Rürup) bei den einschneiden 
  »Sozialreformen« der letzten Jahre. Die Bezugnahme auf deren Expertise 
  ersetzte tendenziell politische Aushandlungsprozesse und Begründungspflichten. 
  Resultat ist die Entpolitisierung gesellschaftlicher Interessengegensätze. 
  Frank Fischer und Alan Mandell belegen, dass dieses Hantieren mit »Wissenschaftlichkeit« 
  und »Exzellenz« bereits seit den späten 1980er Jahren die US-amerikanische 
  Debatte zur Reorganisation des Bildungs- und Erziehungssystems prägte und 
  die dortigen »herrschenden Eliten (sich) um ein spezifisches programmatisches 
  Konzept einer technokratischen postindustriellen Gesellschaft« sammelten. 
  (Fischer u. Mandell 1994, 129) Dieses Konzept ist mit Zukunftsvisionen verbunden, 
  welche etwa die »Lösung« offener sozialer, politischer oder 
  ökologischer Konflikte an »die Wissenschaft« delegieren und 
  damit die Fragestellung einer Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen 
  und Verteilungsverhältnisse ausblenden. Dieser Ansatz »verlangt nach 
  der Etablierung eines eher wissenschaftlich organisierten Regierungssystems, 
  das die Demontage des traditionellen pluralistischen Systems der Interessengruppenpolitik 
  erfordert. Die Interessengruppen selbst werden als das hauptsächliche Hindernis 
  gesehen, um die technokratische Koordination zu erreichen« (130). Auf 
  diese Weise wird – ausdrücklich unpolitisch aufgefasste – »Professionalität« 
  zu einer zentralen organisierenden und integrieren- den Ideologie (131).
  Gefördert werden soll in diesem Rahmen die Bereitschaft, Experten zu vertrauen, 
  sowie die Wertschätzung der Wissenschaft »an sich«, und zwar 
  losgelöst von Kriterien ihrer gesellschaftlichen Beherrschung und des konkreten 
  Nachweises ihres gesellschaftlichen Nutzens (142). Die gleichen Muster finden 
  sich auch in der Exzellenzinitiative hierzulande wieder: dafür spricht 
  allein die Bundesliga- oder Oscar-Preisverleihungsatmosphäre, die in jeder 
  Vergaberunde vor Bekanntgabe der »Sieger« zielgerichtet medial erzeugt 
  wurde. Dies schließt Appelle an die Bürger und Studierenden der prämierten 
  Standorte ein, sich mit »ihrer« Eliteuniversität zu identifizieren. 
  Die marketingmäßige und rankinglistengestütze Demonstration 
  von »Leistungsfähigkeit« ersetzt als ideologischer Effekt den 
  tatsächlichen Nachweis des gesellschaftlichen Gebrauchswerts der jeweiligen 
  Forschungsergebnisse.
  Diese Elitenpolitik ist nicht lediglich eine technokratische Verkürzung 
  komplexer gesellschaftlicher Fragen, sondern in jeder Hinsicht eine negative 
  Utopie bzw. ein sozialreaktionäresKonzept von Herrschaftssicherung. Dessen 
  Kern ist die Verhinderung der gesellschaftlichen Aneignung der Wissenschaft. 
  Das elaborierte Wissen wird einer kleinen Gruppe exklusiv zur Verfügung 
  gestellt und umgekehrt proportional der gesellschaftlichen Bewertung und Verfügbarkeit 
  entzogen. Damit wird Wissenschaft zugleich fetischisiert und aus ihren gesellschaftlichen 
  Produktions- und Aneignungsbedingungen herausgelöst. In Wirklichkeit ist 
  Wissenschaft immer beides zugleich: individuelle Erkenntnistätigkeit undein 
  auf sozialer Kooperation und Überlieferung beruhendes gesellschaftliches 
  Kollektivprodukt, ohne das erstere nicht möglich wäre. Die nach-industrielle 
  hochtechnologische Produktionsweise fördert im Grunde diese zunehmend wissens- 
  und wissenschaftsbasierte soziale Kooperation auf immer breiterer gesellschaftlicher 
  Grundlage. Die soziale Verallgemeinerung wissenschaftlicher Urteilsfähigkeit 
  im Sinne des alten Programms »Bildung für alle!« ist dadurch 
  objektiv leichter realisierbar. Vor diesem Hintergrund erweist sich Elitenförderpolitik 
  als eine Art Defensivstrategie zur Verhinderung dieser politischen Möglichkeit. 
  Als geeignetes Gegenkonzept konkretisiert sich daher das alte und zu aktualisierende 
  Programm einer Demokratisierung der Wissenschaft.
Literatur
Bollenbeck, Georg, 1994: Bildung und Kultur – Glanz und Elend eines deutschen 
  Deutungsmusters, Suhrkamp Insel Verlag Frankfurt/M
  Bultmann, Torsten, 2004: Deutschland sucht seine Elite – Konsequenzen 
  für das künftige Hochschulsystem, in: Arbeitshefte Nr. 105– 
  Zeitschrift der Juso-Hochschulgruppen(Oktober 2004), Berlin, 16-23
  Ders., 2007: Veränderungen des Hochschulzugangs – Die aktuelle Debatte 
  in Deutschland und ihre Hintergründe, in: S. Kuba (Hg.), Im Klub der Auserwählten, 
  Erhard Loecker Verlag Wien, 75-88
  Bund-Länder-Kommission (BLK Juni 2005): Pakt für Forschung und Innovation 
  – Beschluss vom 23.6.2005
  Bund-Länder-Kommission (BLK Juli 2005): Vereinbarung gemäß Artikel 
  91b des Grundgesetzes (Forschungsförderung) über die Exzellenzinitiative 
  des Bundes und der Länder zur Förderung von Wissenschaft und Forschung 
  an deutschen Hochschulen – Beschluss vom 18.7.2005
  Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG 2007): Förder-Ranking 2006: Institutionen 
  – Regionen – Netzwerke, Bonn
  Fischer, Frank, und Allen Mandel, 1994: Bildungspolitik und postindustrielle 
  Transformation: »Excellence« als technokratische Ideologie, in: 
  H. Sünker, D. Timmermann u. Fr.-U. Kolbe (Hg.), Bildung, Gesellschaft, 
  soziale Ungleichheit, Suhrkamp Verlag Frankfurt/M
  von Friedeburg, Ludwig, 1989: Bildungsreform in Deutschland – Geschichte 
  und gesellschaftlicher Widerspruch, Suhrkamp Verlag Frankfurt/M
  Hartmann, Michael, 2004: Elitehochschulen – die soziale Selektion ist 
  entscheidend, in: Prokla 137, 535-550
  Hochschulrektorenkonferenz (HRK 1996): Zur Finanzierung der Hochschulen, Bonn 
  8./9.7.1996 (Ms.)
  Holzkamp, Klaus, 1992: »Hochbegabung«: Wissenschaftlich verantwortbares 
  Konzept oder Alltagsvorstellung?, in: Forum Kritische Psychologie29, 5-29
  Liessmann, Konrad Paul, 2006: Platz für die Elite!, in: Freitag21. April 
  2006, 17 
  Lux, Vanessa 2007: Eignung und Anpassung – zur Prognostik von »Studierfähigkeitstest«, 
  in: Forum Wissenschaft4/2007 , 41-44
  Markard, Morus, 1998: Begabung. Motivation. Eignung. Leistung. – Schlüsselbegriffe 
  der aktuellen Hochschulregulierung aus kritisch-psychologischer Sicht, in: Forum 
  Wissenschaft1/1998, 36-40
  Ders., 2005: »Elite«: Ein anti-egalitaristischer Kampfbegriff, in: 
  UTOPIE kreativ171, Januar 2005, 5-11