Clemens Knobloch (Siegen)
Vom Lockruf zum Goldrausch: Bertelsmann und die Stiftungen in der Hochschulpolitik
Vortrag Ringvorlesung Uni Hamburg (1. Dezember 2009, 18-20 Uhr)
„Jeder ist unseres Glückes Schmied“ (Bertelsmann-Motto für
das Jahr 1999)
[1] Vom Lockruf zum Goldrausch: die Stiftungen
Es ist ein ultrastabiles massenmediales Erzählmuster, das die privaten Stiftungen, die neuen kompakten Akteure der außerstaatlichen Hochschulreform ins Spiel bringt. Es geht so: Die zunehmenden Finanznöte der öffentlichen Hände, der unweigerliche Rückgang der für Universitätsbildung verfügbaren öffentlichen Mittel, all das ruft den uneigennützigen Stifter auf den Plan, der seine staatsbürgerlichen Pflichten (und womöglich sogar die Gemeinwohlverpflichtung des Grundgesetztes) ernst nimmt und selbstlos das Gemeinwesen fördert. Diese Geschichte ist freilich zu schön, um wahr zu sein. Die Interessenverflechtungen der Stiftungen mit den Mutterkonzernen sind inzwischen bestens belegt.
Ähnlich wie an den Schulen und auch zum Teil bereits in den öffentlichen Verwaltungen nutzen die Stiftungen indirekte Techniken des induzierten Strukturwandels. Über die ganz selbstlose Einführung von Rankings, Testsoftware, Evaluationsverfahren kreieren sie ihre Problemwahrnehmung an den Institutionen. Über Public Private Partnership (PPP), vermehrt auch in der Forschung, lenken sie öffentliche Mittel in die eigenen Forschungsabteilungen und bekommen Teile der avancierten Hochschulforschung in die Hand.
Aus dem „Lockruf der Stifter“ ist längst eine Art Goldrausch geworden. Wer jetzt noch keine Eliteuniversität sein eigen nennt, der bekommt keine mehr. Die großen Stiftungen überschlagen sich mit der öffentlichen Präsentation ihrer immer marktradikaleren Hochschulkonzepte. Was noch vor wenigen Jahren kein Satiriker vorzuschlagen gewagt hätte, wird heute bereits ernsthaft gefordert. Die Wissenschaft, so heißt es regelmäßig in den einschlägigen Publikationen, steht am Anfang der Wertschöpfungskette. Das heißt im Klartext: Sie hat dort zu stehen, gleich ob sie öffentlich oder privat finanziert ist. Sie soll Gewinn bringen und sonst gar nichts. Wenn im oben genannten PPP-Text des Stifterverbandes ein Schering-Professor kategorisch fordert:
Die mit öffentlichen Mitteln erarbeiteten Ergebnisse müssen exklusiv der kooperierenden Firma angeboten werden.
dann illustriert das immerhin die Mentalität, mit der die Wirtschaft ihre öffentlichen Kooperationspartner traktiert. Anders als die Öffentlichkeit hat sie mitbekommen, dass die staatliche Forschungsförderung einen kompletten Richtungswechsel vorgenommen hat. Während bisher eine Art Subsidiaritätsprinzip galt, heißt es nun: Das öffentliche Geld fließt dem privaten hinterher.
Über Jahrzehnte galt, dass die staatliche Forschungsförderung unmittelbar marktfähige und privaten Gewinn versprechende technologische und sonstige Projekte nicht finanziert hat. Bestand eine solche Konstellation, wurde der Antrag auf öffentliche Förderung abgelehnt. Die staatlichen Mittel sollten dahin fließen, wo Themen von allgemeiner und industriepolitischer Bedeutung erforscht wurden, die aber nicht direkt markt- und produktbezogen waren. Jetzt ist es genau umgekehrt: Je marktnäher, desto höher die Förderungspriorität von Staat und DFG. Für das Technologieförderungsprogramm der Bundesregierung für 2007 (14,5 Milliarden € Umfang) gilt, dass nur Projekte gefördert werden können, die unter industrieller Führung stehen. Das kommt einer direkten Auslieferung des öffentlichen Forschungsetats an die Privatwirtschaft gleich und wäre noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen.
Während die Ergebnisse öffentlich finanzierter Forschung bislang öffentlich zugänglich gemacht, publiziert werden mussten, können die Hochschulen seit einigen Jahren auch Patente anmelden und verwerten. Damit soll ihnen eine zusätzliche Einkommensquelle erschlossen werden. Tatsächlich dürfte jedoch (wie in allen Konzepten der NPM-Universität vorgesehen) die Existenz profitabler Patente zu privatwirtschaftlichen Ausgründungen führen, die dann diese Patente verwerten mit der Folge, dass wiederum das öffentliche Geld dem privaten hinterher fließen kann.
Damit der Leser auch den Geschmack des neuen unternehmerischen Wissenschaftsverständnisses auf die Zunge bekommt, zitieren wir abschließend noch den oben bereits zu Wort gekommenen Schering-Professor zu der Frage, wer in öffentlich-privaten pharmakologischen Forschungsverbünden den Ton angibt:
Ein schneller klinischer Versuch mag zwar wissenschaftlich ganz interessant sein, für die industrielle Entwicklung eines Produktes kann ein solcher schneller Handversuch aber durchaus unangenehme und nachhaltige (sic) und für die Zulassung eines Produktes außerordentlich störende Konsequenzen haben.
So dass wir also ganz sicher sein können, mit wissenschaftlichen Ergebnissen, die die Zulassung eines Pharmaproduktes nachhaltig (jawohl, nachhaltig) zu stören geeignet sind, künftig nicht mehr behelligt zu werden. Wir werden sie bekommen, die von Philip Morris gesponserte Gesundheitsforschung und den Nestlé-Lehrstuhl für Ernährungswissenschaft.
[2] How it all happened
Die unternehmerische Umwälzung der Hochschulen, deren Ergebnisse wir hier bestaunen, nahm ihren Anfang in den 90er Jahren des vergangnen Jahrhunderts. Ihr Ende ist natürlich offen. Seit die Finanzkrise das Ansehen des Marktes als alleinseligmachende Regulationsform arg ramponiert hat, tönen auch die Wortführer der neuen akademischen Leitkultur etwas kleinlaut. Damals aber war alles anders. Aus der politisierten, aufmüpfigen und alternativen Studentenschaft, die noch in den 80er Jahren regelmäßig große Streiks und Aktionen inszenierte, war zwischenzeitlich die konsumistisch befriedete „Generation Golf“ geworden. Der neue Kasinokapitalismus platzte schier vor Selbstbewusstsein und traute sich beinahe alles zu – während die Angst vor Prekarität und Arbeitslosigkeit langsam, aber sicher auch die Mittelschichten zu erfassen begann. Ironischerweise war das westdeutsche Universitätssystem gerade zuvor noch auf das Gebiet der ehemaligen DDR übertragen worden. Erneuerung der dortigen Universitäten hieß das öffentlich und hoffnungsfroh, ganz kurz bevor man dann einhellig feststellte, das System der deutschen Universitäten sei unzeitgemäß, im Kern verrottet und nicht mehr zu retten.
Mit einem Male schien die Gelegenheit günstig, lange gehegte Pläne in die Tat umzusetzen. Lange schon waren die Länder es satt, die politische Verantwortung für notorisch unterfinanzierte Universitäten ständig neu zu schultern. Und lange schon hatten die Unternehmerverbände gefordert, die Universitätsausbildung den eigenen Anforderungen anzupassen. Zugleich begann in den USA der Boom der rein kommerziell betriebenen „For Profit“-Hochschulen. Deren Handelsware ist die Angst, öffentliche Universitäten könnten am Arbeitsmarkt vorbei ausbilden. Besonders im Umkreis der wirtschaftlich wachsenden asiatischen Volkswirtschaften begann zeitgleich ebenfalls ein lukrativer Handel mit höherer Bildung, der Blütenträume von einem milliardenschweren globalen Bildungsmarkt trieb. Da wollte auch Deutschland, die alte Bildungsgroßmacht, nicht abseits stehen. Und als dann noch der sogenannte Bolognaprozess eine europäische Form für dieses Zielbündel bot, war der Weg frei für den radikalen Umbau der deutschen Hochschullandschaft, deren Zeugen wir sind.
In dieser Lage traf der Lockruf der Stiftungen auf offene Ohren. Den bedrängten Hochschulen versprach man tatkräftige Hilfe, allen voran die rührige Bertelsmann Stiftung, das Aushängeschild von Europas größtem Medienkonzern. Zusammen mit der Hochschulrektorenkonferenz, bis dahin ein eher unscheinbares und wenig einflussreiches Gremium, gründete Bertelsmann 1994 das Centrum für Hochschulentwicklung und versah es mit dem flotten Kürzel CHE. Den Hochschulrektoren versprach man, was ihnen fehlte: zuerst ein professionelles Management der öffentlichen Meinung – schließlich beherrscht das Haus Bertelsmann ein Presse- und Fernsehimperium von nahezu unbegrenzter Reichweite. Und dann aber auch: mehr exekutive Macht in der Universität der Zukunft. Und schon hatte man die Rektoren im Sack und eine zuvor kaum einnehmbare hochschulpolitische Bastion erobert. Es dauerte nicht lange, bis das Wort die Runde machte, der Chef des CHE sei der heimliche Bundesbildungsminister. Fortan jedenfalls führte das Haus Bertelsmann die deutsche Hochschulpolitik am Nasenring. Die Medienprofis verkauften das Programm der unternehmerischen Hochschule den Arbeitgebern als effizient, den Landesministern als kostensparend, den Gewerkschaften als sozial gerecht und den Grünen als nachhaltig. Wo der eine Bertelsmann aufhört, fängt der nächste Bertelsmann an. Von den Studiengebühren über die Hochschulräte bis zur rhetorischen Fassade von Freiheit und Autonomie der Universitäten stammt alles, was in den letzten Jahren öffentlich propagiert und gesetzlich implementiert worden ist, aus dem Hause Bertelsmann. Andere Stiftungen sprangen auf, als der Zug Fahrt gewann. Besonders der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, Dachverband aller privatwirtschaftlichen Wissenschaftsstiftungen, hat sich inzwischen ebenfalls zum hochschulpolitischen Megaakteur gemausert.
Unübersehbar prägt die Handschrift der Bertelsmänner erstmals das Hochschulrahmengesetz von 1998. Es gibt die Rechtsform der Universitäten frei und erlaubt damit den Ländern, mit Stiftungen und anderen Formen akademischer Scheinselbständigkeit zu experimentieren. Das ist stets der erste Schritt zum Marktsubjekt. Regelmäßige Evaluation und leistungsorientierte Finanzierung – zwei Ecksteine des Gesetzes von 1998 – stellen sicher, dass die Länder ihre Hochschulen auch weiterhin steuern können, nur eben jetzt mit finanziellen Mitteln. Aus dem politischen Skandal der Unterfinanzierung ist über Nacht ein ökonomischer Steuerhebel geworden. Indem die Länder nämlich den gewährten Globalhaushalt an Leistungsbedingungen binden, die sie selbst definieren. Dieser Gedanke ist so charmant, dass kein Minister sich im entziehen kann. Auf einen Schlag verlagert die finanzielle Autonomie alle Konflikte in die einzelnen Hochschulen hinein. Für die gleichwohl fortdauernde Detailkontrolle der Länder wurde der Name Ziel- oder Leistungsvereinbarung üblich. Kreditpunkte, gestufte Studiengänge (B.A. und M.A.) und das Recht, die Studierenden selbst auszusuchen, runden das Bild ab. Lediglich die Studiengebühren fehlen noch im Gesetz von 1998. Dafür schien die Zeit noch nicht reif, obwohl Arbeitgeberverbände und Stiftungen seit langem ad nauseam wiederholt hatten, dass echter Wettbewerb unter den Hochschulen ohne die segensreichen Steuerwirkungen von Studiengebühren nicht zu haben sei.
Die Lage an den deutschen Hochschulen passte vorzüglich in das Beuteschema marktextremistischer Ideologen: Staat ist schlecht, Markt und Wettbewerb sind gut. Die Dauerkrise der unterfinanzierten und überfüllen Universitäten schien ein eklatanter Fall von Staatsversagen. Blockiert durch bürokratische Vorschriften und staatliche Regelungswut schrien die Hochschulen geradezu nach den heilsamen Kräften von Markt und Wettbewerb. Stets mobilisierbar ist die Furcht, im globalen Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte zurückzufallen. Und sind Universitäten nicht die Standortfaktoren in der aufziehenden Wissensgesellschaft? Der neidvolle Blick auf private US-amerikanische Eliteeinrichtungen wie Harvard, Yale, Stanford prägte die Debatten. Wirkliche oder vermeintliche Sorge um die Attraktivität des Wissensstandortes Deutschland („Ich sage nur: PISA!“) taten ein Übriges. Das System der deutschen Abschlüsse: Diplom, Magister, Staatsexamen sei international nicht anschlussfähig, hieß es. Die besten deutschen Nachwuchswissenschaftler ziehe es unwiderruflich ins Ausland. Und die Kinder der globalen Eliten studierten lieber anderswo. Am Horizont stand drohend der Brain Drain, bisher allenfalls Schicksal von Entwicklungsländern. So schien es.
Doch wo die Gefahr am größten ist, wächst das Rettende auch. Diesmal in Gestalt der Bologna-Erklärung zur Harmonisierung und Konvergenz der europäischen Hochschulsysteme. Diese Erklärung ist in vieler Hinsicht genial. Einmal, weil sie zugleich eine europäische Vision und einen europäischen Sachzwang etabliert. Beides sind kostbare Ressourcen. Was immer man tut, man kann jetzt nach Bedarf auf Brüsseler Bürokraten zeigen oder die Einheit Europas beschwören. Besonders in Deutschland fungiert Bologna seither als Turbolader der Markttransformation. Dann aber auch, weil Bologna den akademischen Machtwechsel mit Zielen versieht, gegen die wirklich niemand etwas haben kann. Gefördert werden soll studentische Mobilität durch „vergleichbare und leicht verständliche Abschlüsse“. Und entstehen soll in Europa der größte wissensbasierte Wirtschaftsraum der Erde. Mit Verweis auf die Weltgeltung des anglo-amerikanischen B.A./M.A.-Systems erklärt Europa, ebenfalls ein solches gestuftes System verbindlich etablieren zu wollen. Damit sind gleich mehrere Erwartungen verbunden. Als Global Player will Europa attraktiver werden auf dem weltweiten Bildungsmarkt. Für die breite Masse sollen die Studienzeiten verkürzt und die Inhalte den Erfordernissen des Arbeitsmarktes untergeordnet werden. Darum ist der europäische B.A. immer berufsbezogen und immer sechssemestrig, was ihn von seinem erklärten angelsächsischen Vorbild erheblich unterscheidet. In der englischsprachigen Welt gibt es auch achtsemestrige (und auch forschungs- und wissenschaftsbezogene) B.A.s.
[3] Alte und neue Fahnenwörter
Wer unvermittelt aus der Hochschuldiskussion der 60er und 70er Jahre in die Gegenwart springen wollte, der wäre kaum davon zu überzeugen, dass von der gleichen Institution die Rede ist. Der sprachliche Tapetenwechsel ist nahezu vollständig. Demokratie, Menschenbildung, Chancengleichheit, Kritikfähigkeit, Öffnung der Hochschulen – das klingt herüber wie aus einer anderen Welt. Und es zeigt an, dass es der Studentenbewegung gelungen war, den alten und etwas müden Bildungsidealismus mit zeitgemäßen und resonanzfähigen Zielen neu zu bebildern. Die Öffnung der Hochschulen, davon war man überzeugt, werde der Demokratisierung der Gesellschaft dienen, den allgemeinen gesellschaftlichen Nutzen der Wissenschaften mehren, die Arbeitswelt humanisieren und dazu noch den Aufstieg breiter Schichten in sozial angesehene Berufe erleichtern. Das Studium sollte den Charakter eines Privilegs für wenige verlieren und vielen den Zugang zu wissenschaftlicher Bildung eröffnen. So klang die Begleitmusik dessen, was jetzt, nach 25 Jahren Überlast und Unterfinanzierung, mit einigem Recht als Massenuniversität bezeichnet wird. Die Probleme der Massenuniversität sind es, die durch ihre mediale Dauerpräsenz das Publikum auf die unternehmerische Universität eingestimmt haben.
Wir erinnern uns: Von der nachlassenden Studierfähigkeit der Abiturienten war da die Rede. Das Studium sei zu lang, die Studierenden zu alt, die Abbrecherquoten zu hoch. Mit diesem Dreiklang harmonierte fast immer der Vorwurf, die Studieninhalte seien unpraktisch, berufsfern und für den wissenschaftlichen Nachwuchs geeignet, nicht aber für die Masse derer, die in andere Berufe gehen. Dazu, als Generalbass, die Melodie von den stets leeren öffentlichen Kassen (die etwas schräg klingt, seit wir täglich von staatlichen Milliardenbürgschaften für die Finanzwelt lesen). Als Begleitung dann immer noch der faule, privilegierte und überversorgte Beamtenapparat.
Wer tatsächlich vergleichen wollte, der müsste zur Kenntnis nehmen, dass der träge deutsche Beamtenprof seit 25 Jahren nicht allein ein Mehrfaches der Studentenzahl ausbildet wie sein britischer, niederländischer oder US-amerikanischer Kollege. Er forscht und publiziert auch mit einer Hingabe, als ob er die Verbeamtung lebenslang noch vor sich habe. Trotz der hoffnungslosen Überlast ist die hohe Motivation der Studierenden wie der Lehrenden überraschend robust. Die Zyniker unter den Reformern (und derer sind nicht wenige) überlegen denn auch schon, wie man dem künftigen deutschen Lehrprof der Handelsklasse B den tief sitzenden Forschungsdrang abtrainieren könne. Als viel versprechendes Mittel gilt die weitere Erhöhung der Lehrdeputate.
Vor dem Hintergrund der offenkundigen Probleme mit der unterfinanzierten Massenuniversität (und flankiert von der Medienmacht Bertelsmanns) wurde das bewährte marktextremistische Drehbuch auch hochschulpolitisch implementiert: Staatliche Leistungen – so hieß es auch schon bei der Arbeitsmarktreform und bei der Privatisierung kommunaler Dienste – sind schlecht, teuer und bürokratisch überreguliert, den Aufgaben der Standortsicherung in einer globalen Wissensgesellschaft keinesfalls gewachsen. Der Staat selbst erklärte sich zum Vorreiter bei der Entstaatlichung der Hochschulen. Angesagt waren fortan: Autonomie, Deregulierung, Wettbewerb, Effizienz, Qualität und Selbstverantwortung.
Es ist kein Zufall, dass wir das Feld der neuen Leit- und Fahnenwörter zuerst 1997 einigermaßen geschlossen antreffen in der berühmten Bildungsrede des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog. Der nämlich war zugleich Schirmherr des Initiativkreises Bildung – eingerichtet von der Bertelsmann Stiftung – und damit „ranghöchster Türöffner“ für die hochschulpolitischen Ambitionen des Medienriesen, der inzwischen die Politiker fast aller Parteien vor sich her treibt. Dass Roman Herzog 1997 nachsprach, was der rührige Ghostwriter aufgeschrieben hatte, zeigt an, dass Bertelsmann an der Staatsspitze angekommen war.
Kein Zweifel: Das Haus Bertelsmann agiert professionell und strategisch. Seine kompakte Medienmacht sorgt dafür, dass kein Minister es gerne zum Feind hat. Eine Verlagsgruppe, die 500 Millionen Bücher im Jahr verkauft (Random House), Vorherrschaft im europäischen Unterhaltungsfernsehen (die 42 Fernsehkanäle der RTL-Gruppe), beträchtlicher Einfluss bei der Zeit, bei Stern und Spiegel, den Leitmedien der veröffentlichten Meinung – Dagegen war Axel Springer, den die Studentenbewegung enteignen wollte, ein Waisenknabe. Bertelsmann garantiert, dass die Leitwerte und Leitworte der unternehmerischen Hochschule in der Medienöffentlichkeit konkurrenzlos bleiben. Der Monopolist hütet den Wettbewerb.
Das erste Opfer der unternehmerischen Umwälzung war die akademische Selbstverwaltung. Wie Politik und Medienmacht zusammenspielen, zeigt sich exemplarisch an ihrer Abschaffung. Lanciert wurde das Bild von der blockierten Universität: Besitzstandswahrer und Nichtangriffspakte in den gewählten Gremien bremsten alle Reformversuche von innen, die staatliche Regelungswut und Detailaufsicht lähmten von außen. Aus öffentlicher Aufsicht und demokratischer Selbstverwaltung wurde so der drohende „korporative Erstickungstod“ der öffentlichen Hochschulen. Fazit: Die Universitäten brauchen mehr Freiraum für eigenverantwortliches Handeln. Um wieder aktionsfähig zu werden, müssen sie ihre Blockaden auflösen. Die staatliche Detailkontrolle wird unter erheblicher medienöffentlicher Zustimmung ebenso entsorgt wie die lästige Gremiendemokratie. Der ganze Prozess erscheint gebündelt in den überall zirkulierenden Programm- und Fahnenwörtern: Autonomie, Hochschulfreiheit, Selbstverantwortung.
Und das klingt doch vorzüglich. Man merkt gleich den werbeerfahrenen Medienprofi. Alles urdemokratische Wertbegriffe, gegen deren Verwirklichung an der Universität niemand ernstlich etwas haben kann. Was öffentlich unter diesen Fahnenwörtern marschiert, das kann eigentlich nur gut und sinnvoll sein. Nach ihrem Programmgehalt sind Autonomie, Freiheit und Selbstverantwortung so einwandsimmun, dass öffentliche Gegenpositionen kaum bezogen werden können. Sprechen Sie mal im Fernsehen gegen die Autonomie der Hochschule! Der Begriff ist einfach kugelsicher.
Für den Staat bedeutet es Imagegewinn, wenn er sich mit großer Freiheitsgeste aus seiner Aufsichtsfunktion zurückzieht. Bisher hat er gegängelt und bevormundet – Jetzt bescheinigt er den Hochschulen die Reife, sich selbst zu regieren. Das schmeichelt allen Beteiligten. Der NRW-Innovationsminister (so nennt er sich, wohl auf Anraten des Hauses Bertelsmann?) hat sein Universitätsgesetz sogar „Hochschulfreiheitsgesetz“ getauft und sich damit jedenfalls medial an die Spitze der Bewegung gesetzt.
Und das Publikum? Wie reagiert es auf die wohlklingenden Plastikwörter? Sofern es nicht einfach die Schultern zuckt, fühlt es sich im Zweifel erinnert an die Leitwerte, die den Glanz der deutschen Universitätstradition ausmachen: Freiheit von Forschung und Lehre, Unabhängigkeit der Hochschulen von staatlicher Gängelung. Es kommt den neuen Fahnenwörtern zugute, dass sie auch als Kontinuitätssignale gegenüber der bildungsidealistischen Tradition der Humboldtschen Universität gelesen werden können.
Was die Fahnenwörter der unternehmerischen Universität wirklich bezeichnen, das lehrt nur die Erfahrung erster Hand. Vor Ort nimmt Orwellsche Züge an, was so verheißungsvoll als Autonomie und Freiheit von staatlicher Gängelung einher kommt. Längst ist die aufgelassene Macht der demokratischen Gremien und der staatlichen Aufsicht in andere Hände übergegangen. Der Hochschulrat wird zwar vom Land eingesetzt, repräsentiert aber überwiegend Wirtschaftsinteressen. Und die kann er auch durchsetzen, weil er es ist, der die Rektoren und Präsidenten wählt, die von hochschulinternen Gremien nicht mehr wirksam kontrolliert werden können. In ihren Machtstrukturen bildet die unternehmerische Universität das Modell des Großbetriebs nach: starke exekutive Präsidenten oder „Vorstandsvorsitzende“ und einen externen Aufsichtsrat. Und das ist noch lange nicht alles. Neben der direkten Herrschaft hat sich ein ausgefuchstes System indirekter Kontrollinstanzen etabliert, das man als Invasion der Kennziffern bezeichnen könnte. Wiederauferstanden in Gestalt privater Akkreditierungsagenturen, prüft die Hochschulaufsicht (mit ungeheuerem Aufwand für die Geprüften) alle Studiengänge im Abstand von 5 Jahren. Zur Produktion der erforderlichen Daten muss unentwegt gezählt, gemessen und evaluiert werden. Und auch der Staat selbst ist keineswegs verschwunden. Im Gegenteil. Er gibt ja weiterhin einen je auf Zeit vereinbarten Prozentsatz des Haushalts. Und dafür stellt er natürlich Bedingungen, die in Ziel- und Leistungsvereinbarungen detailliert festgehalten werden. Wenn die Hochschule nicht spurt, werden ihre Mittel gekürzt. Die neue Freiheit sitzt wie eine Zwangsjacke.
Aus der öffentlichen Verantwortung entlassen, fallen die Hochschulen (und mit ihnen die öffentlichen Mittel ihrer Finanzierung) den jeweils stärksten und kompaktesten Marktkräften in ihrer Umgebung anheim. Es braucht keine prophetischen Gaben, um die neuen und wahrhaft eisernen Zwänge auszumachen, unter denen die solchermaßen „freigesetzten“ Hochschulen operieren werden. Es sind die Zwänge eines Marktakteurs, der gleichwohl in allen Fasern von öffentlichen Zuschüssen abhängig bleibt. Ändern wird sich also lediglich die Form, in der die Zwänge sich bemerkbar machen. Und die Rhetorik der Freiheit und Selbstbestimmung dient in der Hauptsache dem schnöden Zweck, die Akteure zum verschwinden zu bringen, von denen die neuen Zwänge ausgehen: Wer wirklich autonom ist, der muss sich gefallen lassen, für alles verantwortlich gemacht zu werden, was ihm widerfährt.
[4] Was die Bertelsmänner sonst so tun
Der Bertelsmannkonzern ist nicht nur im Medienbereich ein global player. In Europa der größte, vertreibt er Medienprodukte in 63 Ländern. Einmalig ist weltweit die Konstruktion der Macht- und Eigentumsverhältnisse zwischen Konzern und Stiftung. Letztere wurde 1977 gegründet. Im Jahr 1993 wurden auf die gemeinnützige und steuerlich begünstigte Stiftung 75% des Kapitals des Konzerns übertragen. Der Rest des Konzerns gehört der Familie Mohn, welche natürlich auch die von ihr gegründete Stiftung kontrolliert.
Die Stiftung selbst ist ein so genanntes „operatives“ Unternehmen, d.h. sie fördert nur ihre eigenen Projekte, anders als andre Stiftungen, die Geld für externe Unternehmungen bereitstellen. Als gemeinnützige Organisation gibt sie für Einflussarbeit, Lobbyismus und ideologische Landschaftspflege die Millionen aus, die das Stiftungsmodell dem Weltkonzern an Steuern spart. In keinem anderen demokratischen Land wäre eine solche Konstruktion möglich. Nirgends dürfen Stiftungen den Löwenanteil des Kapitalvermögens selbst besitzen, aus dessen Revenue sie ihre Arbeit bezahlen.
Das CHE reproduziert diese Struktur im Kleinen. Es teilt sich in eine gemeinnützige Abteilung, die steuerbegünstigt ist, und in CHE-Consult, den privatwirtschaftlichen Teil des CHE. Beide sind formell geschieden, fall- und bedarfsweise kann die privatwirtschaftliche Beratungsfirma oder die gemeinnützige Fassade nach vorne geschoben werden.
De Konzernumsatz betrug 2005 etwa 17 Milliarden Euro. Davon entfielen etwa 28% auf die RTL-Gruppe, 24% auf die Firma Arvato (wovon gleich mehr), 10% auf das Verlagsimperium Random House, 15% auf Gruner & Jahr und die Zeitschriften, etwa 10% auf Sony und den Musikhandel (der inzwischen veräußert wurde). Betelsmann hat weitweit an die 80.000 Beschäftigte und ist somit ein wirtschaftlicher Riese mit weit reichenden politischen Ambitionen. Ziel der Stiftungsarbeit ist die allseitige Implementierung privatwirtschaftlicher und marktförmiger Strukturen im gesamten öffentlichen Sektor. Die Stiftungsfassade erlaubt es dem Konzern, dabei als desinteressierter, bürgerschaftlicher, zivilgesellschaftlicher Akteur aufzutreten.
1994 wurde das CHE gegründet. Es markiert den Strategiewechsel der Stiftung hin zur betriebswirtschaftlichen Durchdringung des öffentlichen Hochschulsystems, nachdem man zuvor in der Hauptsache Privatuniversitäten wie Witten/Herdecke unterstützt hatte. Studiengebühren, Haushaltsautonomie, Bachelor/Master-System, Modularisierung und Verpunktung wurden in Angriff genommen. Die HRK liefert dem CHE das Mäntelchen demokratischer Legitimität, Geld und Initiative kommen von Bertelsmann. Umgekehrt eröffnet die Medienmacht des Hauses B. den Rektoren die Möglichkeit einer professionellen PR-Arbeit. So erscheint es als Musterfall einer Public Private Partnership, einer Zusammenarbeit von privat und öffentlich zum gegenseitigen Vorteil (Alidusti 2007). Tatsächlich führt seither die Firma Bertelsmann die hochschulpolitische Feder in den Ländern. Das „Hochschulfreiheitsgesetz“ in NRW kopiert bis in die Formulierungen hinein Vorgaben der Bertelsmänner.
Um die Reichweite der Bertelsmann-Ambitionen zu ermessen, muss man wissen, dass im Jahr 1995 zudem das Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) gegründet wurde. Es bahnt den Aktivitäten der vermutlich politisch wichtigsten Geschäftssparte Bertelsmann den Weg: Arvato. Das ist ein global aktives Dienstleistungsunternehmen mit 34.000 Mitarbeitern und spezialisiert auf die privatwirtschaftliche Neuorganisation der Aufgaben öffentlicher Verwaltungen. Seit 2005 organisiert Arvato z.B. die gesamte Verwaltung der britischen Gemeinde East Riding. Den verschuldeten öffentlichen Händen wird das als Sparmodell angeboten, aber in der Realität ist es eine politische Revolution, wenn die Gesamtheit der hoheitlichen Aufgaben demokratischer Kontrolle entzogen wird. Entdemokratisierung des öffentlichen Raumes und Verbetriebswirtschaftlichung stehen auf dem Programm des Hauses nicht nur im Hochschulbereich, sondern in der ganzen Gesellschaft.
Ökonomisch betrachtet ist Bertelsmann ein Pionier, weil es die privatwirtschaftliche Erschließung des öffentlichen Raumes für langfristige und sichere Gewinne methodisch und systematisch betreibt. Als einer der größten „Content Provider“ weltweit (Random House hat auch ein Imperium von Wissenschaftsverlagen und Fachzeitschriften) müsste sich Bertelsmann nur mit einem gleich großen und gleichmächtigen informationstechnologischen Verteilerkonzern zusammentun, um einen Großteil des (dann privatisierten und vermarktwirtschaftlichten) Wissens- und Bildungshandels in die Hand zu bekommen.
[5] Die SPD-Connection. Bertelsmann als Vernetzungskünstler
Zu den Paradoxien der Bertelsmann-Macht gehört der Umstand, dass es die SPD- und Gewerkschaftsnetzwerke gewesen sind, die dem als gemeinnützige Stiftung auftretenden Konzern zu seinem beängstigenden Erfolg verholfen haben. Die SPD-Bertelsmann-Connection scheint zu funktionieren, seit das (sozialdemokratische) Land NRW dem Konzern in den 80er Jahren dabei half, den Weg für private Rundfunk- und Fernsehangebote freizuschaufeln. Das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, von der allerdings die Bertelsmänner selbst sehr viel mehr profitiert haben als die SPD. Die Connection hat ihnen nämlich den Weg in die Privatisierung nicht nur der medialen Sinnstiftung, sondern auch in die Privatisierung des Staatshandelns selbst eröffnet.
[6] Das Hochschulranking als Macht- und Steuermittel
Das CHE-Hochschulranking dürfte von allen öffentlichkeitswirksamen Aktionen des Hauses B. das bekannteste sein. Zunächst wurde es durch den STERN an die Öffentlichkeit gebracht, seit einigen Jahren dient die verbündete ZEIT als Sprachrohr. Sie ist das Zentralorgan der Bildungsschichten und damit für die Transformation des öffentlichen Bewusstseins in Sachen Universität absolut zentral und die bei weitem am besten geeignete „Fähre“ für dne nachhaltigen Umbau des Bildungsdiskurses.
Verkauft wird das Ranking als eine Art Dienstleistung für angehende Studierende, die mit Kriterien für ihre Hochschulwahl versehen werden sollen. Das CHE tritt auf wie eine Art Stiftung Warentest, die das Angebot der Hochschulen kritisch prüft und die „Konsumenten“ dieses Angebots mit Zahlen und Fakten versorgt. Was kann man schon dagegen haben? Werden Sie fragen – Nun, natürlich nichts. Aber in Wahrheit geht es um ganz andere Dinge beim Ranking der deutschen Universitäten.
Vielleicht erkennt man den grenzenlosen Ehrgeiz der Bertelsmänner eher, wenn man daran erinnert, dass der Konzern nicht nur Hochschulen rankt, sondern auch Schulen, Wirtschaftsstandorte und Nationalstaaten. Es gibt einen so genannten Bertelsmann Transformation Index (BTI), der – jawohl! – die internationale Öffentlichkeit informiert (ich zitiere aus dem BTI 2006) „über den Entwicklungsstand und Qualität des Managements“, wohlgemerkt des staatlichen Managements. Bewertet werden 119 Staaten. Die höchsten Ränge erzielen in diesem Staatsindex – wen wundert es? – regelmäßig diejenigen Staaten, die bei der Privatisierung des öffentlichen Sektors vorangehen. „Marktwirtschaftliche Transformation“ heißt das dann und klingt prima.
Die Schulbewertungssoftware SEiS (=Selbstevaluation in Schulen) kommt als Hilfsmittel für die Schulverwaltung. Faktisch definiert sie, was eine gute Schule“ zu tun hat. Das Haus Bertelsmann will in der Politik das werden, was die Ratingagenturen im Finanz- und Wirtschafsleben sind: Eine Zentralinstanz, die mit wechselnden Bewertungskriterien die Bereiche faktisch steuert, die sie nur zu bewerten vorgibt.
Aber bleiben wir bei den Hochschulen. In den letzen Monaten und Jahren haben sich zahlreiche Fachbereiche, Fakultäten, erste Berufsverbände und auch ganze Hochschulen aus dem bekannten CHE-Ranking abgemeldet. Der erste Reflex ist natürlich: Wer da aussteigt, der scheut den Vergleich mit anderen Hochschulen und hat im Zweifel etwas zu verbergen. Er fürchtet, auf den hinteren Plätzen zu landen. So hat der Bonner Asta-Vorsitzende, nachdem die Uni Bonn ihren Ausstieg verkündete, geargwöhnt, die Uni-Oberen hätten Sorge, sie könnten in der Lehre schlecht abschneiden und mieden darum den Wettbewerb. Auf diesen massendemokratischen Reflex setzen die Bertelsmänner, und in der Tat haben auch die Studierenden einigen Grund, ihren Hochschulleitungen in diesen Dingen zu misstrauen.
Es ist jedoch wichtig sich klarzumachen, dass hinter dem Überdruss an der Dauerbewertung von Hochschulen etwas anderes steckt. In den (viel zitierten) USA waren es die hoch renommierten Eliteuniversitäten, die sich zuerst aus den Rankings verdrückt haben. Klar: Wenn man Harvard oder Yale heißt, braucht man keinen Reputationsverstärker. Man hat von guten Plätzen nicht viel zu gewinnen, aber von schlechten viel zu verlieren.
Das Problem liegt jedoch etwas tiefer. Es liegt darin, dass jede solche Bewertungsprozedur in dem Augenblick zu grobem Unfug wird, wo der Rangplatz selbst zum eigentlichen Handlungsziel der Akteure wird – und genau das erzwingen Rankings. Ich beginne mit dem Beispiel der Berufsakademie Mannheim. Die nämlich weist „ihre“ Studies dezent darauf hin, dass ein positives Abschneiden der eigenen Schule ihre späteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessert. Was einer ganz unverhohlenen Aufforderung gleichkommt, nur ja gegenüber dem CHE das eigene Nest nicht zu beschmutzen. Die verordnete Corporate Identity – Lektion hat man hier bereits gelernt. Na ja, wenn´s der Wahrheitsfindung dient. So ist das eben, wenn Messgrößen Handlungsziele werden. Andere Fachschaften und Asten empfehlen ihren Studierenden den Boykott. Schon diese Konstellation macht die „Daten“ auf denen das Ranking beruht, völlig wertlos, sie spiegeln eine Einstellung zum Ranking, nicht den tatsächlichen Ist-Zustand der Institution.
Zur Paradoxologie des Ranking gehört auch dessen Selbstimmunisierung gegen Kritik. Einmal in der Welt, schafft jedes Ranking fröhlich Fakten. Wer nämlich von einem hinteren Platz aus mosert, der ist einfach ein schlechter Verlierer. Wer weit oben gelandet ist, der wird kaum der Versuchung widerstehen, aus seinem guten Ergebnis eine Ressource oder eine zugkräftige Eigenwerbung zu machen. Wer in der Mitte steht, fällt nicht auf – und hält darum die Klappe. Etablierte Nobelmarken jedoch – das ist ganz wie bei der Stiftung Warentest – können im Lotteriebetrieb der Rankings leicht ihren Nimbus einbüßen. Das erklärt, warum die Ivy League – Hochschulen der USA nicht nur die Mühen der Akkreditierung, sondern auch die nationalen Rankings misstrauisch beäugen.
Jeder halbwegs seriöse Sozialwissenschaftler wird Ihnen sagen, dass solche Rankings bestenfalls „edutainment“, ein unterhaltendes Spiel sind. Einen Erkenntniswert haben sie nicht. Aber das ist eigentlich eine Verharmlosung. Real sind zwar nicht die Daten, real sind aber die Folgen des Rankings. Als die Siegener Sprach- und Literaturwissenschaftler ihren Ausstieg aus dem CHE-Ranking verkündeten, konterten die Bertelsmänner, sie würden ihre Erhebungsbögen gleichwohl an willige Teilnehmer verschicken. Dabei entsteht natürlich eine vollkommen schiefe und willkürliche Auswahl der Befragten. All das zeigt aber, dass sich die Protagonisten des Rankings einer Tatsache sehr wohl bewusst sind, der nämlich, dass Rankings Tatsachen schaffen, aber keine Tatsachen feststellen. Sinn haben sie nämlich nur als das, was Sozialwissenschaftler self fulfilling prophecy nennen, sich selbst erfüllende Prophezeiung. Wenn Ihre Uni einen niedrigen Rangplatz einnimmt, dann spricht sich das herum und beeinträchtigt ihre Reputation. Ist die Reputation einmal beeinträchtigt, dann führt das dazu, dass Rangplätze zu Kriterien für die Allokation von Ressourcen, von Forschungsmitteln und Lehrkapazitäten werden. Erst darin zeigt sich ihre eigentlicher Sinn: Sie stellen die Rangordnung tatsächlich her, die abzubilden sie vorgeben. Das mögen Sie bitte aus dem Vergleich mit den Ratingagenturen der Finanzwelt lernen. Da nämlich führt das Triple-A, das Top-Rating, unweigerlich dazu, dass Sie beste Kreditbedingungen eingeräumt bekommen, während Sie mit CCC horrende Zinsen zahlen müssen. Ratings verstärken Differenzen. Deswegen sind sie gewünscht von den Predigern der Spreizung des Hochschulsystems. Das logische Ende ist eine Hochschullandschaft mit billigen Massenausbildungsstätten am unteren Rand und wenigen prestigeträchtigen und reichen Forschungsuniversitäten am oberen Rand. Und just diese Verhältnisse werden sich ganz objektiv, naturwüchsig und rechtmäßig „einstellen“, wenn wir uns an die Rankings gewöhnen. Die Bertelsmänner sind zufrieden, wenn sie die Unis überhaupt in eine Rangfolge bringen können. Das was sie durchsetzen wollen, hängt alleine davon ab, dass es eine solche Reihenfolge gibt und dass sie „real“ wird in den Konsequenzen der Mittelzuweisung.
Ein Wort noch zum Stiftung Warentest – Effekt. Man verkauft Ihnen das CHE-Ranking ja als eine Art Dienstleitung, die es den „Kunden“ erleichtern soll, ihre Entscheidung für die eine oder andere Hochschule zu treffen. Tatsächlich ist die Qualität einer Hochschule vom Hörensagen nicht zu bestimmen. Sie ist gar kein einheitlicher und auch gar kein messbarer Tatbestand. Das Ranking kann Ihre Entscheidung steuern, informieren hingegen kann es Sie nicht. Als sich abzeichnete, dass das Ungleichgewicht zwischen überlaufenen westdeutschen und unausgelasteten ostdeutschen Unis sich verstärken würde, da veranstaltete das CHE prompt ein Ranking der Studienbedingungen, bei der einmal nicht die üblichen Verdächtigen (nämlich die „unternehmerischen“) Hochschulen auf den vorderen Plätzen auskamen, sondern eben die ostdeutschen mit guten, neuen Bibliotheken und erfreulichen Betreuungsrelationen. Es hat sich dabei zweifelsfrei herausgestellt, dass Rankings als Steuerinstrumente eingesetzt werden, es hat sich aber auch herausgestellt, dass sie als solche nicht funktionieren. Denn am konstatierten Ungleichgewicht hat sich bisher nichts verändert. Faktisch waren Unis noch nie so „durchsichtig“ für Studierende wie heute im Zeitalter des Internet. Sie können per Mausclick erfahren, was Ihr Prof so forscht, lehrt und veröffentlicht, wie viele Studierende in Ihrem Studiengang eingeschrieben sind und vieles andere mehr. Diese Informationsquelle ist weit verlässlicher als das CHE-Ranking.
Aus der höchst wünschenswerten Verschiedenheit der Hochschulen nach Themenkonstellationen, Fächerschwerpunkten und Forschungstraditionen macht das Ranking eine pseudoobjektive Reihenfolge.
Dass die Evangelische Fachhochschule Ludwigshafen im Februar 2008 den Entschluss
gefasst (mitgeteilt und zur Nachahmung empfohlen) hat, sich am Hochschulranking
des allmächtigen CHE nicht mehr zu beteiligen, kam insofern einer kleinen
Revolution gleich. Es gehört offenbar inzwischen Mut dazu, aus dem solchermaßen
etablierten Zwang zur Selbstkannibalisierung auszusteigen und die diversen Rankings
und Ratings als das zu bezeichnen, was sie sind: Techniken, die bezwecken, das
relativ homogene Feld der Hochschulen auseinanderzuziehen, indem die pseudoobjektiven
Daten all dieser undurchsichtigen Bewertungen als Grundlage für differenzierte
Mittelzuweisung, als Basis für die Selbstverstärkung der festgestellten
Tendenzen etabliert werden. Der Mechanismus ist immer gleich und immer gleich
simpel. Stellt das Rating eine Forschungsschwäche in einem bestimmten Bereich
fest, fließen dort keine Mittel mehr hin, mit dem Ergebnis, dass sich
die Forschungsschwäche alsbald bewahrheitet. Für alle anderen Bereiche
gilt Entsprechendes. Es ist evident, dass Hochschulrankings, die Qualitätsunterschiede,
die sie zu konstatieren scheinen, zu allererst herstellen helfen.
Hören wir einen professionellen Sozialwissenschaftler über die Praxis
des Hochschulrankings:
Rankings sollen entweder Informationen für Akteure bereitstellen, die Auswahlen zwischen unterschiedlichen Angeboten treffen müssen, oder sie werden mittel- oder unmittelbar zur Ressourcenallokation genutzt. Sie dienen also letztlich einer Stimulation des Wettbewerbs, verbunden mit der Hoffnung, dass so eine beständige Qualitätsverbesserung erreicht werden kann. Entsprechend waren Rankings im US-amerikanischen Hochschulsystem mit seinem hohen Anteil an privaten Anbietern und seiner starken Marktorientierung sehr früh verbreitet. Unmittelbare Mittelzuweisungen in Verbindung mit Rankings führen meist zu heftigen Anpassungsreaktionen, wobei nicht unbedingt nur die intendierten Effekte einer Qualitätsverbesserung eintreten, sondern auch eine intelligente Optimierung von Indikatoren betrieben wird. Besonders problematisch wird dies, wenn „nicht-anreizkompatible Indikatoren“ benutzt werden. (Hornbostel 2006)
Was heißt das, wenn man es in Alltagssprache rückübersetzt? Nun, es heißt, dass sich die gerankten Akteure auf die Parameter stürzen, auf denen das Ranking beruht, und sie mittels „kreativer“ Image-, PR- und Selbstdarstellungsarbeit zu schönen suchen. Wenn die Zahl der Promotionen zählt, wird nicht promoviert, was das Zeug hält, sondern die Zählweise wird verändert. Wenn die Drittmittel zählen, dann sucht man nach neuen Berechnungsgrundlagen. Die Arbeitslosenstatistik macht es ja vor! Wenn der Rangplatz zum Ziel des Handelns wird, entstehen sofort gehäuft dysfunktionale und abenteuerliche Folgen. Das fasst der Sozialwissenschaftler als „intelligente Optimierung von Indikatoren“. Inzwischen arbeitet in der Hochschulpolitik fast jeder mit seinen eigenen Zahlen.
Und was die Allokationsfunktion der Rankings betrifft, so haben wir sie uns folgendermaßen vorzustellen: Ein niedriger Rangplatz in einem für repräsentativ geltenden Ranking führt dazu, dass die Zuweisung öffentlicher Mittel verringert wird, ein hoher Rangplatz führt dazu, dass – zur Belohnung gewissermaßen – die Mittelzuweisung erhöht wird. Man muss nicht 8 Semester Soziologie studiert haben, um zu erkennen, dass Rankings mit Allokationsfunktion das sind, was man self fulfilling prophecies nennt. Sie stellen die Unterschiede her, die sie zu beschreiben scheinen. Sobald es eine solche Allokationsfunktion gibt, bleibt den Hochschulen nur eine einzige rationale Handlungsstrategie: Sie müssen alles tun, um ihren Rangplatz zu erhöhen, und alles unterlassen, was ihn senken könnte. Damit ist faktisch der Zustand hergestellt, dass der Veranstalter des Rankings mit seinen Kriterien die Hochschulpolitik vollständig steuert und dominiert.
Ihre semantische Überzeugungskraft beziehen die Leitvokabeln der normalistischen Kontroll- und Verdatungsprozeduren durch die Suggestion von Gleichheit und Objektivität, mit der sie einher kommen: Evaluation, Ranking, Qualitätskontrolle etc. Wer sich dem entzieht, muss immer den Vorwurf gewärtigen, er habe etwas zu verbergen oder müsse den Vergleich mit den anderen scheuen. Außerdem ist eine Hochschulwelt, die sich „lesen“ lässt wie eine Bundesligatabelle, von herrlicher Evidenz und Einfachheit.
[7] Schluss
Insgesamt stehen die bildungspolitischen Aktivitäten von Bertelsmann – gleich ob es sich um Evaluationssoftware für Schulen, um Uni-Ranking, um Haushaltsautonomie für Hochschulen, um Modularisierung von Bildungsinhalten etc. handelt – für ein marktfundamentalistisches ideologisches Projekt. Der Staat wird (mit dem Versprechen von Kostenersparnis) gedrängt, überall da marktförmige Bereiche und Marktsteuerungen einzurichten, wo ehedem öffentliche Daseinsfürsorge bestand: In Schulen, Hochschulen, Krankenhäusern, Stadtverwaltungen. Das scheint den Staatsakteuren auch darum attraktiv, weil damit die öffentliche und politische Verantwortung für das, was vor Ort schief geht, aus den politischen Büchern verschwindet. In den letzten Wochen konnten Sie studieren, was das rhetorisch bedeutet. Alle Kultusminister haben unisono erklärt, bei der Umsetzung der Bolognareformen hätten die Universitäten „handwerkliche Fehler“ gemacht, die sie nun nachbessern müssten. Kein Wort davon, dass alles Implementierte strikten Vorgaben von oben entsprach. Der Soziologe Clemens Albrecht (2009) hat das Konzept der „autonomen“ Hochschule mit dem der „bad bank“ verglichen. In beiden Fällen sollen Risiken ausgelagert werden. Politische Risiken an der „autonomen“ Hochschule, ökonomische Risiken bei der „bad bank“. Erst wenn alles zusammenkracht, wird deutlich, dass die Risiken doch am Ende wieder bei der Politik landen werden.
Es spricht einiges dafür, dass die Kommodifizierung und „Vermarktlichung“ des Bildungsbereichs zur zentralen Auseinandersetzung der nächsten Jahre werden könnte. Hier wären für überschüssiges, nach neuen Anlagesphären suchendes Kapital Milliarden zu verdienen, wenn das System der öffentlichen und kostenfreien Bildung ausgehebelt würde. Wie schrieb doch neulich Horst Siebert, Ex-Präsident des Instituts für Weltwirtschaft und langjähriges Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung:
Die zentrale Aufgabe lautet, den Bildungsbereich nach dem Wettbewerbsprinzip zu organisieren.
Die Firma Bertelsmann mit ihren zahllosen Unterabteilungen ist der Eckstein in der Umsetzung dieser ökonomischen Strategie in Deutschland.
[8] Literaturhinweise
Albrecht, Clemens (2009): „Die Zukunft der deutschen Universität. Von Steuerungsbürokratien und anarchistischer Unterwanderung“. In: Forschung und Lehre 1/2009, S. 8-11.
Barth, Thomas, Hg. (2006): Bertelsmann: ein Medienimperium macht Politik. Hamburg.
Barth, Thomas & Schöller, Oliver (2005): „Der Lockruf der Stifter. Bertelsmann und die Privatisierung der Bildungspolitik“. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 11/2005, S. 1339-1348.
Hornbostel, Stefan (2006): „Theorie und Praxis von Hochschulrankings“. In: Statistik und Wissenschaft. Amtliche Hochschulstatistik und Hochschulrankings. Beiträge zur wissenschaftlichen Tagung des Statistischen Bundesamtes am 9./10. November 2006 in Wiesbaden.
Knobloch, Clemens (2010): Wir sind doch nicht blöd! Die unternehmerische Universität. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Lohmann, Ingrid (2007): „Die ´gute Regierung´ des Bildungswesens: Bertelsmann Stiftung“. Wernicke & Bultmann (2007: 153-170).
Schöller, Oliver (2004): „Gestiftete Bildung. Das Centrum für Hochschulentwicklung“. In: Müller, Ulrich & Giegold, Sven & Arhelger, Malte (Hg.): Gesteuerte Demokratie. Wie neoliberale Eliten Politik und Öffentlichkeit beeinflussen. Hamburg: VSA. S. 59-64.
Wernicke, Jens & Bultmann, Torsten, Hg. (2007): Netzwerk der Macht – Bertelsmann. Der medial-politische Komplex aus Gütersloh. Marburg: BdWi-Verlag.